59 Stunden Katowice – Blog
Der Bericht bezieht sich auf einen Besuch der Stadt Katowice im Januar 2015.
Warum berichte ich ich Katowice ? Hatte ein paar Tage von der Arbeit frei bekommen und suchte ein Ziel, dass ich ohne großen Aufwand mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann. Zwei mal umsteigen, um am anderen Ende Ende Polens anzukommen, fand ich interessant.
22. Januar 2015
Fahre mit wenigen Passagieren im IC-Bus ab Berlin Richtung Polen. Mit dabei: mein Kamerarucksack und das stabile Manfrotto. Mit den Klisches ist das ja immer so eine Sache. Ein polnischer Fahrgast ist sehr ungepflegt und geruchsintensiv. Warum setze ich mich eigentlich nicht weiter weg von ihm? Schön doof, denke ich mir später. Hinter der polnischen Grenze wechselt die Fahrbahn auf Ost-Betonplatten-Niveau. Wir werden ordentlich durchgeschüttelt. Meine Hoffnung auf Besserung wird nach einer halben Stunde erhört. Die automatischen Ansagen im Bus kommen nur sehr abgehackt an. Das Bordpersonal versucht offensichtlich immer wieder, die CD neu zu starten. Sind in etwa diese Strecke wenige Monate vorher mit dem Rad gefahren.
Es ist schon dunkel, als ich, leicht erschöpft, in Katowice ankomme. Vergewissere mich beim Busfahrer noch einmal, dass ich auch wirklich da bin. Der Busbahnhof liegt versteckt am Rande des Zentrums. Es gibt vielleicht 6 Bussteige. Am Rand warten ein paar sehr alte, wie auch moderne Busse auf ihren Einsatz. Eine schmucklose Wartehalle steht bereit, um bei den geringen Temperaturen den Fahrgästen etwas Wärme zu bieten.
Buche mich in ein Hostel ein, weil man da erfahrungsgemäß so schön ins Gespräch mit den anderen Gästen kommt. Sieht im Moment nicht so aus, als ob’s klappen würde. Das Personal reagiert reserviert. Andere Gäste lassen sich maximal ein brummiges „Dzien dobre“ entlocken. Muss mich erst mal einleben. Gehe noch am Abend zur viel beworbenen Mariacka Straße, der Partymeile der Stadt.
Eine ausgesprochen schöne Frau kommt auf mich zu, fragt mich etwas auf etwas auf polnisch. Freue mich, meine auswendig gelernten Sprachbrocken anwenden zu können. Antworte: „Nie mówię po polsku.“, worauf sie nahtlos auf englisch weiterspricht und mir wärmstens den Besuch eines Nachtclubs empfiehlt. Erkenne jetzt an den hohen Stiefeln und der „Beinfreiheit“ der Dame, um welche Art Club es sich handeln könnte. Lehne dankend ab und entschließe mich zum Besuch einer Karaoke Kneipe. Es ist sehr voll, alles viel zu eng und nur junge Leute. Was machen die Alten? Ein junger Mann kämpft inbrünstig gegen seine mangelhaften Gesangskünste an. Mit Kamera und dicker Daunenjacke verursache ich drinnen eher Schaden und verlasse nach kurzer Zeit das Lokal. Auf der Straße kommt die Frau mit den Stiefeln wieder auf mich zu. Offenbar ist ihr Gedächtnis nicht das Beste.
Setze mich in einer Kneipe fest. Darin alte Landkarten von Katowice mit deutschen Ortsnamen. War eben doch alles mal „unser“. Sich als Pole auszugeben, bringt nichts. Man erkennt Dich. Bstelle trotzdem mein Bier auf polnisch (piwo, proszę) und bekomme es auch. das Publikum ist gemischt. Sind sogar Briten in dem Laden. Was die nur alle hier wollen? Am Ende des Tages bin ich nicht der einzige Tourist.
Die Stadt beeindruckt mich schon jetzt. Viel Kunst auf den Straßen – Oder das, was man dafür halten könnte. Hängt vielleicht mit dem jährlich stattfindenden Street-Art Festival zusammen. Brad Downey ist einer der Straßenkünstler, die hier beim Street-Art-Festival 2014 aktiv waren.
Gehe durch eine Unterführung und schaue mir die Graffities an. Mir fallen nicht nur hier Hinweise auf die deutsche Vergangenheit auf. Auch hier: Hakenkreuz-Schmierereien.
Mache mich auf den Weg zum Hostel. Am Plac Andrejzi, wie nett von den Katowicern, den ort nach Andreas zu nennen, überkommt mich ein ungutes Gefühl. Es kommt von der Bushaltstelle gegenüber des Hostels, wo ein Typ steht, obwohl offensichtlich jetzt keine Busse fahren. Beschließe, abzubrechen. Als ich mich im Flur zum Hostels noch einmal umdrehe, steht der Typ nur wenige Meter von mir entfernt am Eingang. Bin jetzt froh, dass der Summer an der gut gesicherten Tür mir den Weg hinein öffnet. Ich denke mal, dass hier noch was geht mit Fotografieren. Werde morgen zu einer Vernissage gehen. Mal sehen, ob die mich rein lassen.
23. Januar 2015
Der Morgen beginnt in der Touristinformation. Vielleicht liegt es daran, dass um diese Jahreszeit nicht allzu viel Touristen in Katowice aufkreuzen. Ich werde von einer dicken, wie auch überschwänglich herzlichenen Frau empfangen: „Bitte kommen Sie! Sie müssen unbedingt nach Krakau fahren. Alle 15 Minuten fährt Bus. Fahrt dauert nur 45 Minuten. Ist ganz billig. Am Nachmittag gehen Sie zurück in Stadt und schauen unsere modernen neuen Gebäude an.“ Offensichtlich ist ihr der Besuch der eigenen Stadt nicht sooo wichtig. Mit einer handvoll Prospekten verlasse ich die Info. Es ist schwer zu vermitteln, dass ich mich ganz auf Katowice konzentrieren möchte und wenig Interesse an der Route der Moderne habe.
Fahre erst mal nach Niesowiec, der sehr gut erhaltenen Bergarbeitersiedlung östlich von Katowice. Ist schon ein Schmuckstück. Damals hatte man, unüblich für die Zeit, extra Stararchitekten aus Berlin geholt, um das Ganze zu planen. Den Nutzen hat man Heute noch. Den Fotoladen gibt’s seit der Gründung der Siedlung. Eine Kirche, Schule, Post, ein paar Geschäfte, ein Restaurant, Cafės – alles da, was man so braucht. Wer mehr will, fährt in die Stadt. Die Komplexe haben große, weitgehend autofreie, Innenhöfe als Treffpunkt und Spielplatz. Man kann nicht einfach so schnell mal durchfahren durch die Siedlung. Es müssen schon Ecken und Winkel umwunden werden. Das macht den Ort sehr gemütlich. Stelle mich mitten auf den Platz und mache ein 360° Panorama. Die paar Autos fahren problemlos um mich herum. Am Rande einer deutschen Großstadt wäre der Ort schon hip und unbezahlbar. Mal sehen, wie lange hier noch gewöhnliche Arbeiter wohnen.
Besuche noch das Museum, die ehemalige Mangel. Solche sind auch zu sehen, auch noch Original Kernseifen aus deutscher Produktion. Geschichtliches erfährt man am Infopoint.Gehe etwas spazieren. Die Erde auf den Wiesen ringsumher ist tiefschwarz und riecht nach Kohle.
Etwas abseits vom Ort besuche die Halle des ehemaligen Wilson-Schachtes. Das Objekt besticht schon von außen durch diverse Kunstwerke. Die Gewerkschaft „Solidarnosz“ bereitet eine Veranstaltung vor. Im Eingangsbereich bestaune ich einige Installationen. Ein Sicherheitsmann kommt auf mich zu. Erwarte, dass er mich rausschmeißt. Er hingegen macht mir Licht und lädt mich ein, doch alles anzusehen. Bin beeindruckt.
Fahre am Nachmittag mit kleinem Gepäck noch einmal los. Die Vernissage steht an. Das Kunstwerk ist ein Video, dass über einen Beamer in Schleife abgespielt wird. Darauf zu sehen: Der Künstler, der mal liegend, mal leicht bewegend in der Natur durchs Geäst kriecht. Die eigentliche Eröffnung dauert dann nur wenige Minuten. Jemand kündigte an, dass es jetzt los geht. Der Künstler kündigt an, dass es jetz los geht und erzeugt mit seinem Synthesizer noch ein paar Klänge. Das war’s. Alles sehr „experimentell“. Trinke noch ein Glas des bereitgestellten Weines: schon echt übel.
Die Fotoausstellungen im gleichen Haus sind richtig gut. Ein handelt vom Leben auf der Straße in den übelsten Vierteln von Paris, eine andere von Gipsy-Queens. Da bauen reiche Roma in Rumänien die schönsten Paläste und zeigen offensichtlich gern ihren Reichtum.
Mein letztes Ziel an diesem Tage ist das Cafė Rebell am Zoo. Klingt schon mal interessant. Es soll eine eine ukrainische Band spielen. Der Zoo ist weit draußen, will daher den Bus nehmen. Ich weiß jetzt nicht, was ich falsch gemacht habe. Der Bus fährt anscheinend nicht dorthin, wo ich hin möchte. Trotzdem soll ich drin bleiben. Die anderen Fahrgäste werden irgendwann rausgeworfen. Mich bringt der Fahrer noch zur nächsten Straßenbahn und lässt mich auf freier Strecke aussteigen. Geld will er auch nicht. Echt nett. Das Café ist schon voll. Es ist ukrainische Woche und jemand lamentiert über die Ukraine-Krise. Beschließe, in einer Stunde noch mal wiederzukommen. Die Ukraine-Krise scheint noch nicht ausgestanden zu sein. Mache mich auf den Rückweg in einer super modernen Straßenbahn mit Fahrtvideos und grafischer Darstellung der Strecke auf dem Stadtplan. Habe ich bei uns noch nicht gesehen.
24. Januar 2015
Am Samstag geht es nach Szopienice. Will mal sehen, ob es nicht doch einen Weg gibt, in die im Winter geschlossenen alte Zinkhütte zu kommen. Weiß, dass dort noch alte Maschinen stehen und hin und wieder Fototouren angeboten werden. Jemand arbeitet drinnen, aber das Tor bleibt verschlossen. Also ein Mal herum um’s Objekt und Außenfotos gemacht.
Sehe jetzt etwas, was ich schon einmal bei Flickr gesehen und für mich zeitlich in die Vergangenheit geschoben habe. Auf den Schienen neben der Hütte stehen ein paar Kohlensammler. Jetzt ist die Gelegenheit, meine aufgeschriebenen polnischen Sätze anzubringen:
„Jestem fotografem amatorem. Czy mogę zrobić zdjęcie ?” – Ich bin Hobbyfotograf. Kann ich ein Foto machen?“
Die Leute zuckten schon etwas, als ich sie anspreche. Hoffentlich gibt das jetzt keinen Ärger. Reiche ihnen meinen Zettel. Sie verstehen. Nur fotografiert werden, das wollen sie nicht. Ist wohl doch nicht ganz legal, was sie da so machen.
Verfehle beim Rückweg zur Straße leicht den Weg und lande auf einem Betriebsgelände. Während ich darüber nachdenke, dass dort, wo eine Hundeleine gespannt ist, auch ein Wachhund sein könnte, ist er auch schon da. Mein Glück, dass aus einem Hüttchen ein Sicherheitsmann auftaucht, die Schranke hoch macht und mir den Weg nach Draußen zeigt. Sehr nett!
Schaue mir den Ort Szopienice an. Ein Wachmann lädt mich förmlich ein, sein bewachtes Objekt zu besichtigen. Scheint eine ehemalige Brauerei zu sein, die jetzt für Veranstaltungen und Büros genutzt wird. Schön hergerichtet mit viel Kunst.
Zurück in der Stadt, komme ich am alten Bahnhof vorbei. Man hat ihn seinerzeit einfach geschlossen, stehen gelassen und einen Kilometer weiter einen schicken neuen gebaut. Merke, dass mich ein Mann inspiziert. Ordne ihn ein in Richtung „Verwahrloster Alkoholiker“. Er merkt, dass ich ihn registriert habe, kommt sofort auf mich zu und quatscht mich voll. Versuche, ihn abzuschütteln. Warum muss das immer mir passieren? Sieht man mir meine soziale Ader an? Komme wieder an der Mariacka Straße vorbei. Lehne schon von Weitem die Offerten der Dame mit den Stiefeln ab und entwische dem Typen durch die Unterführung.
Vor einer Kneipe komme ich ins Gespräch. Der junge Mann empfiehlt mir, doch am Abend noch einmal hierher in „Blue Monkey“ zu kommen, um ein gutes Bier zu trinken. Außerdem gäbe es dort jemanden, der deutsch spricht. Werde es mir vormerken.
Gehe ich zum Centrum Kultury, welches genau so ausssieht, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ein großer Klotz neben dem Schlesischen Parlament mit diversen Sälen, unter anderem auch Theater. Schleiche mich in einen Saal und beobachtete eine Lichtprobe. Niemand stört mich. Ist halt doch ein Haus des Volkes.
Mittlerweile beginnt es zu schneien. Mache mich auf die Suche nach einem Café. Während ich mich in einer Seitenstraße über das deutschsprachige Plakat für ein Kinderfest wundere, entdecke ich gegenüber die Wunder-Bar. Ur-bayerisch eingerichtet, trinke ich das ebenfalls bayerische Bier, verweigere ich mich den deutschen Gerichten und bestelle polnische Piroggen. „A good Choice“ meint die nicht deutsch sprechende Bedienung.
Es ist wieder dunkel und schneit weiterhin. Ein Fotomotiv ist noch offen: Spodek, auf deutsch Untertasse, von den Katowicern offiziell so genannt, beherbergt den größten Veranstaltungssaal am Ort. Nächstes Ereignis dort – der Auftritt von Thomas Anders und Sandra – genau die.
Lasse den Abend im Blue Monkey, mal wieder beim bayerischen Bier, ausklingen. „Na Zdrowie!“. Neben mir steht eine junge Frau, wild gestikulierend am Handy. Ich verstehe nicht, was sie sagt, weiß aber nach einer halben Stunde ziemlich genau, dass ihr Freund sie betrogen hat und überhaupt, wie gemein der eigentlich ist.
Am nächsten Morgen sind meine 59 Stunden Katowice um. Mein Bus bringt mich wieder sicher nach Berlin. Hatte ein paar schöne Tage, wenn auch mit etwas wenig Kommunikation und Menschen-Fotos.
Schreibe einen Kommentar